Als Franz, der junge Eichelbohrer, eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich zu einem ungeheuren Menschen verwandelt. Er lag nicht mehr auf seinem gemütlichen Bett aus Blättern, sondern auf einem harten, kratzigen Ast. Die Rinde piekste in seinen Rücken und plötzlich fühlten sich seine Arme und Beine fremd an. Ein scharfer Schmerz durchzog ihn und der Schock war überwältigend. Als er an sich hinabschaute, sah er statt seiner harten Schale eine weiche, verletzliche Haut. Panik ergriff ihn. Seine neuen Hände – unförmig und zittrig – bewegten sich so unkontrolliert, dass er fast vom Ast rutschte. „Was ist mit mir passiert?“, dachte er.
Es war kein Traum. Franz versuchte, sich zu bewegen, doch die neuen Muskeln gehorchten ihm nicht. Seine sechs dünnen Beine waren verschwunden und es schien unmöglich, sich aus seiner Rückenlage zu befreien. Wie konnte es so weit kommen? Ein Mensch zu sein ist das Schrecklichste, das einem friedlichen, kleinen Wesen passieren konnte.
Franz blickte zum trüben Himmel. Das gleichmäßige Prasseln der Regentropfen, die auf das Moos des Waldbodens fielen, machte ihn traurig. Die Zeit verging, aber seine Gedanken drehten sich unruhig im Kreis. „Was für ein schrecklicher Zustand!“, dachte er. „Menschen sind so gefährlich und zerstörerisch. Jeden Tag jagen sie uns. Und jetzt bin ich einer von ihnen.“ Mit geschlossenen Augen wünschte er sich, der Schlaf könnte nicht nur diese Verwandlung gebracht haben, sondern sie auch wieder rückgängig machen. Er driftete in einen leichten, fiebrigen Halbschlaf, um der Realität zu entkommen.
Was sich wie wenige Augenblicke anfühlte, waren in Wirklichkeit viele Stunden. Es wurde bereits dunkel, als er wieder zu sich kam. Franz begann zu akzeptieren, dass dies sein neues Leben war. Er hörte auf, sich gegen die Bewegungen seiner neuen Gliedmaßen zu wehren und versuchte vorsichtig, sich aufzurichten. Am Himmel entdeckte er die ersten Sterne. Der Ast unter ihm wirkte jetzt noch dünner und zerbrechlicher als zuvor. Plötzlich hörte er eine vertraute Stimme, die ihm große Freude bereitete. „Franz, bist du es wirklich?“, fragte eine kleine Gestalt neben ihm.
In der Dämmerung erkannte er Franziska, seine Schwester. Sie sah aus wie beim letzten Mal, doch beim Blick hinab auf sie, wurde ihm seine eigene unheimliche Größe erneut bewusst. Auch Franziska war erschrocken, aber fest entschlossen, ihrem Bruder zu helfen. Sie war immer die Mutigere von beiden gewesen und hatte oft Wege gefunden, den Gefahren des Waldes zu entkommen. „Was soll ich nur tun?“, rief Franz verzweifelt. Franziska kletterte vorsichtig näher und betrachtete ihren riesigen Bruder, der sie mit seinen großen, blauen Augen ansah. Während sie auf seinen linken Handrücken krabbelte, versprach sie: „Es wird alles gut, Franz. Wir müssen erstmal einen Weg finden, dich von diesem Ast herunter zu bekommen.“
Mit Franziskas Hilfe schaffte er es, sich langsam zu bewegen und sicher den Boden zu erreichen. Alles fühlte sich fremd und schwer an, doch ihre beruhigenden Worte halfen ihm, seine Angst zu kontrollieren. „Du musst lernen, deine neuen Fähigkeiten zu nutzen“, sagte sie. „Es wird nicht leicht, aber ich bin sicher, dass du es schaffen kannst.“ Zögernd begann Franz seine ersten Schritte als Mensch und spürte das seltsame Gewicht des neuen Körpers auf den zwei Beinen. Seine Schwester saß währenddessen auf seiner Schulter und ermutigte ihn, nicht aufzugeben. Jeder Schritt war eine Herausforderung, als müsste er über unebenen, weichen Boden balancieren. Seine Beine fühlten sich ungelenkig und schwer an und er stolperte mehrmals, bevor er einen stabilen Gang fand.
Franz staunte über die Fähigkeit der Menschen, in die Ferne zu blicken, bemerkte aber gleichzeitig, wie leicht ihnen die kleinen Details des Lebens entgingen. Es fühlte sich an, als habe er einen großen, komplizierten Apparat zu bedienen, der vieles sah und doch nichts wahrnahm. Die Geräusche der Nacht waren ihm plötzlich fremd, als ob er sie aus einer Entfernung hörte, die er nie zuvor gekannt hatte. Jeder Schritt, den er tat, zeigte ihm etwas Neues, verbunden mit Furcht und Neugierde.
*Franz Kafkas Todestag jährte sich am 03. Juli 2024 zum hundertsten Mal. „Denn in den Wäldern sind Dinge, über die nachzudenken man jahrelang im Moos liegen könnte“, schrieb Kafka 1918 auf einer Postkarte von einer Böhmerwaldreise an seinen Freund Max Brod.
Der Eichelbohrer ist ein Käfer, der 4 bis 7,5 Millimeter lang wird und mit gelbbraunen oder rotbraunen Schuppen bedeckt ist. Er lebt in Europa, Nordafrika und der Türkei in Wäldern und Hecken. Die Weibchen legen Eier in unreife Eicheln, aus denen Larven schlüpfen, die sich in der Frucht entwickeln und im Boden überwintern. Der Eichelbohrer ist in Deutschland nicht gefährdet.
Der Eichelbohrer ist ein Käfer, der 4 bis 7,5 Millimeter lang wird und mit gelbbraunen oder rotbraunen Schuppen bedeckt ist. Er lebt in Europa, Nordafrika und der Türkei in Wäldern und Hecken. Die Weibchen legen Eier in unreife Eicheln, aus denen Larven schlüpfen, die sich in der Frucht entwickeln und im Boden überwintern. Der Eichelbohrer ist in Deutschland nicht gefährdet.