Kapitel 13 - Rudis Rüssel

Rudi, der kleine Haselnussbohrer, krabbelte aufgeregt durch die Stadt und versuchte, sich an die neue Adresse seines Freundes Franz zu erinnern. Es war noch nicht lange her, dass Franz sich auf magische Weise verändert hatte – er war ein Mensch geworden. Auch heute war ein besonderer Tag: Franz hatte seine Freunde zur ersten Party in seinem neuen Zuhause eingeladen. Rudi konnte es kaum erwarten, Franz wiederzusehen, und war neugierig, wer ihm dort alles begegnen würde.

Auf seinem Weg bemerkte er, wie die grellen Lichter der Straßenlampen alles in ein künstliches, fast blendendes Licht tauchten. „Typisch Menschen“, murmelte er leise. „Sie ahnen nicht, wie irritierend das für uns ist!“ Die Lichter überstrahlten den sanften Mondschein und Rudi musste sich mehrmals neu orientieren, um den richtigen Weg zu finden. „Als ob es nicht schon schwierig genug wäre, sich in dieser Menschenwelt zurechtzufinden, muss ich auch noch ständig auf meinen Rüssel achten“, seufzte er, als er mit seinem empfindlichen Anhängsel an einem Pflasterstein hängen blieb. Er zog den Rüssel vorsichtig zurück, schüttelte den Kopf und setzte seine Reise fort, entschlossen, die Party trotz aller Hindernisse nicht zu verpassen.

Als er schließlich ankam, war das kleine Haus am Stadtrand schon erfüllt von fröhlichen Stimmen und dem Summen vieler Insekten. Rudi schlüpfte durch ein offenes Fenster und landete auf einem Tisch, der reich mit Früchten und Nüssen gedeckt war – ein echtes Paradies für Insekten! Genau das hatte er von seinem alten Freund erwartet. Kaum war Rudi da, entdeckte er Franz, der lächelnd auf ihn zukam.

„Wie schön, dich zu sehen!“, rief Franz und streckte die Hand aus. Rudi erwiderte die Geste, indem er vorsichtig einen seiner dünnen Fühler gegen Franz’ Handfläche drückte, um ihm ein zartes High Five zu geben. „Franz, es ist wirklich erstaunlich, was aus dir geworden ist“, sagte Rudi bewundernd und musterte Franz von oben bis unten. „Du siehst… wirklich interessant aus.“ Franz lachte. „Ich fühle mich auch ziemlich gut, das muss ich zugeben. Aber komm, lass uns ein bisschen plaudern.“

Die beiden suchten sich einen ruhigen Platz im Garten, abseits vom Trubel. Rudi ließ sich behutsam auf Franz’ Schulter nieder und schon bald vertieften sie sich in ein intensives Gespräch. Der kleine Haselnussbohrer begann, Franz von seinem Leben zu erzählen. „Mein Rüssel leistet weiterhin gute Arbeit“, meinte er schließlich und warf einen Blick auf sein langes, leicht gebogenes Gesichtsanhängsel. „Er ist nicht nur praktisch, um Löcher in junge Nüsse zu bohren, sondern hat sich im Laufe der Evolution zu einem echten Allround-Werkzeug entwickelt.“

Franz lächelte und sagte: „Ich erinnere mich noch gut an mein Leben als Insekt, aber man schätzt vieles erst richtig, wenn man es nicht mehr hat. Es ist wirklich erstaunlich, wie vielseitig die Werkzeuge der Insekten sind.“ „Ja“, stimmte Rudi zu, „und sie passen sich perfekt an die Lebensweise jeder Art an. Schau dir die Menschen an – ihre Nase kann nur riechen. Und vielleicht noch eine Brille halten.“

Als Gastgeber freute es Franz, zu sehen, dass sich Rudi wohl fühlte. Er ließ seinen Freund weiter erklären: „Denk zum Beispiel an die Bienen. Ihre Mundwerkzeuge haben sich so entwickelt, dass sie Nektar perfekt aus Blüten saugen können. Unterkiefer und Unterlippe arbeiten dabei zusammen und ihre bürstenartige, besonders lange Zunge nimmt die Flüssigkeit auf.“

Gerade als Rudi das sagte, entdeckte er die Honigbiene Wiebke, die vorsichtig um die Partygäste schwirrte und sich umschaute. „Da ist übrigens Wiebke“, fügte Rudi hinzu und nickte in ihre Richtung. „Sie ist zwar eher zurückhaltend, aber sie weiß alles über die Rolle ihrer Art im Bienenstock und die wichtige Arbeit der Bestäubung.“

Franz folgte Rudis Blick und lächelte. „Und was ist mit meiner Schwester?“, fragte er dann neugierig. „Franziska gehört ja auch zur Familie der Rüsselkäfer. Gibt es da große Unterschiede zu deinem Rüssel?“

„Ja, die gibt es“, bestätigte Rudi. „Franziska, als Eichelbohrer, hat einen Rüssel, der fast genauso funktioniert wie meiner. Sie nutzt ihn, um Eicheln anzubohren und ihre Eier darin abzulegen. Allerdings ist ihr Rüssel etwas robuster, weil Eicheln eine härtere Schale haben als Haselnüsse.“

Franz war glücklich zu sehen, dass die verschiedenen Gäste seiner Feier miteinander ins Gespräch kamen, und war stolz, dass sein neues Zuhause ein solcher Treffpunkt für seine alten Freunde geworden war.

„Wer ist denn dieses fliegende Kerlchen, das Franziska da mitgebracht hat?“, fragte Franz neugierig. „Das ist Mio, die spanische Mücke“, erklärte Rudi. „Er ist neu in der Gegend, aber er hat sich schnell eingelebt. Schau dir nur seinen spitzen Rüssel an – ein faszinierendes Werkzeug. Aber im Unterschied zu den Stechmücken hat Mio nur sehr schwache Mundwerkzeuge. Damit kann er lediglich Wasser, Saft, Nektar oder andere freiliegende Flüssigkeiten aufnehmen. Die menschliche Haut durchstechen? Keine Chance! Dafür sind seine Mundwerkzeuge viel zu zart.“

„Ich hätte nie gedacht, dass die Evolution so viele unterschiedliche Lösungen für das gleiche Problem – die Nahrungsaufnahme – finden könnte“, sagte Franz beeindruckt. „Großartig, oder?“, erwiderte Rudi mit einem stolzen Lächeln. „Weißt du, ich habe mal gehört, dass die ersten Insekten Nahrung durch Beißen und Kauen zerkleinert haben, ähnlich wie heutige Wespen. Ihre Kiefer – oder Mandibeln – zerlegten alles in mundgerechte Stücke. Mücken wie Mio und Bienen wie Wiebke hingegen haben leckend-saugende Mundwerkzeuge. Sie sind perfekt angepasst, um Flüssigkeiten aufzunehmen. Und dann gibt es Insekten, die sich von Pflanzensäften, Nektar oder sogar Blut ernähren. Ihre stechenden Mundwerkzeuge funktionieren wie hohle Rohre, durch die sie die Flüssigkeit saugen. So nutzen Baumwanzen ihr Werkzeug, um Blätter anzustechen und die Säfte herauszuziehen.“

Im Laufe des Abends sprachen Rudi und Franz noch über andere Partygäste, die sich im Haus tummelten. Da war eine prächtige Schmetterlingsdame mit einem eleganten Saugrüssel, die von Fruchtteller zu Fruchtteller flatterte, und eine neugierige Ameise, die mit etwas Smalltalk ihrem kräftigen Kiefer eine wohlverdiente Pause vom anstrengenden Tag gönnte. Sie bemerkten auch Lukas, die Sattelschrecke, dessen Mund sich seitlich wie eine Säge bewegte. Und dann war da noch ein Überraschungsgast: eine Stubenfliege, die von den Zimmerlampen in Franz’ Wohnung angezogen worden war und beschlossen hatte, mitzufeiern. Irgendwann klebten ein paar Tropfen Bier in den feinen Härchen um ihren Mund, während sie fröhlich umherflog.

Die Stimmung war fröhlich und ausgelassen. Jeder Gast fühlte sich in der bunten Gesellschaft der verschiedenen Insekten wohl und willkommen. Franz erwies sich als großartiger Gastgeber. Es erfüllte ihn mit Freude, diesen besonderen Abend mit Rudi und den anderen teilen zu können.

Als die Party zu Ende ging, verabschiedete sich der kleine Haselnussbohrer von seinem großen Freund. „Franz, es war eine wunderbare Einweihungsfeier. Ich bin froh, dass du deinen Weg gefunden und uns alle hier zusammengebracht hast.“ Franz lächelte. „Ich auch, Rudi. Es war schön, dich wiederzusehen und mehr über die faszinierende Welt der Insekten zu lernen.“ Mit diesen Worten krabbelte Rudi zufrieden in die Nacht hinaus, dankbar für die Freundschaften und die unendliche Vielfalt der Natur, die sie alle miteinander verband.

Haselnussbohrer (Curculio nucum)

Der Haselnussbohrer (Curculio nucum) ist ein Käfer, der in Europa, dem Kaukasus, Vorderasien und Nordafrika verbreitet ist. Die Käfer haben eine Körperlänge von 6 bis 8,5 Millimetern und sind schwarz, weiß- und graubraun beschuppt. Ihre Flügeldeckennaht ist mit abstehenden Haaren versehen, die einen charakteristischen Kamm bilden. Die Imagines ernähren sich von jungen Früchten und Blättern verschiedener Bäume, legen ihre Eier in die Nüsse ab und die Larven fressen das Innere der Nuss. Die Bekämpfung wird durch frühreifende Sorten, Leimringe am Baumstamm, regelmäßiges Abschütteln und Einsammeln der Käfer, Kontrolle und Entfernung beschädigter Nüsse sowie den Einsatz von Nematoden und Hühnern empfohlen. Die Art gilt in Deutschland als ungefährdet.

Westliche Honigbiene (Apis mellifera)

Die Westliche Honigbiene (Apis mellifera), auch Europäische Honigbiene, meist einfach Biene oder Honigbiene genannt, gehört zur Familie der Echten Bienen (Apidae), innerhalb derer sie eine Vertreterin der Gattung der Honigbienen (Apis) ist. Ihr ursprüngliches Verbreitungsgebiet war Europa, Afrika und Vorderasien. Da sie Honig erzeugt, wird sie durch den Menschen genutzt (Imkerei) und zählt zu den wichtigsten Nutztieren in der Landwirtschaft. Sie wurde weltweit verbreitet, unter anderem während der Kolonialisierung anderer Kontinente durch die Europäer. Wie einige andere Bienenarten ist auch die Westliche Honigbiene ein staatenbildendes Fluginsekt. In Asien kommen acht weitere Arten der Gattung Honigbienen vor. Die bekannteste davon ist die Östliche Honigbiene (Apis cerana), der ursprüngliche Wirt des Bienenschädlings Varroamilbe (Varroa destructor), die als der bedeutsamste Bienenschädling weltweit gilt.

Punktierte Zartschrecke (Leptophyes punctatissima)

Die Sattelschrecke (Leptophyes punctatissima) ist eine kräftige Langfühlerschrecke mit gelben Längszeichnungen. Sie kommt in Mittel-, West- und Südeuropa auf Laubbäumen, Stauden und im Gebüsch vor. Die Art ist in den westlichen und nördlichen Teilen Deutschlands häufig, während sie im Osten selten bis nicht vorkommt. Die Männchen zirpen ab August, und das Weibchen legt die Eier einzeln ab, aus denen im nächsten Frühjahr die Larven schlüpfen.