Kapitel 25 - Abschiedsspiel

Franz saß in seinem gemütlichen Wohnzimmer und schaute zufrieden auf den gedeckten Tisch. Er hatte verschiedene Nüsse, Blätter und Früchte vorbereitet, und das warme Licht der Lampen sorgte für eine angenehme Atmosphäre. Heute hatte er seine Freunde von der Insekten-Uni und ein paar alte Bekannte eingeladen, um das Kartenspiel think beyond zu spielen. Es war ein Spiel, das dazu gedacht war, tiefe Gespräche anzuregen und die Spieler dazu zu bringen, über sich selbst und ihre Rolle in der Welt nachzudenken.

Nach und nach trafen seine Freunde ein. Zuerst kam seine Schwester Grete mit ihrem langen Rüssel. „Bruderherz, es ist so schön, dich zu sehen!“, sagte sie und krabbelte wie gewohnt auf seine Schulter.

„Ich freue mich auch, Grete", antwortete Franz. „Wie läuft es im Eichenwald?“

„Ach, es ist eine aufregende Zeit", erzählte Grete. „Die Eicheln sind reif, und wir bereiten uns auf die neue Generation vor. Aber ich kann dir später gerne mehr davon berichten.“

Kurz darauf erschien Rudi, der Haselnussbohrer. „Ich hoffe, du hast ein paar Nüsse für mich übrig gelassen", witzelte er und zwinkerte. „Die Haselnussernte war dieses Jahr etwas spärlich.“

„Keine Sorge, Rudi, ich habe extra für dich vorgesorgt“, sagte Franz und zeigte auf eine Schale voller Haselnüsse. „Bedien dich!“

Auch die anderen Gäste trafen allmählich ein, und die Menschen-Wohnung füllte sich mit Leben und Lachen. Konny, die Kellerassel, hatte es trotz seiner Vorliebe für die Dunkelheit geschafft, aus seinem feuchten Versteck herauszukommen. Er schmunzelte: „Entschuldigt die Verspätung, das Tageslicht ist nicht gerade mein bester Freund.“

Helga, die Gartenhummel, summte fröhlich herein und brachte den Duft frisch blühender Blumen mit sich. „Die Blumen im Garten blühen prächtig, ich habe unterwegs noch etwas Nektar gesammelt“, erzählte sie begeistert.

Alexandra, die Purpur-Fruchtwanze, betrat die Wohnung nicht wie die anderen durch die Tür. Sie krabbelte stattdessen über die Fensterbank ins Zimmer und ihre leuchtenden Farben zogen sofort alle Blicke auf sich. Ihr folgte Ari, die Vierfleck-Zartspinne. Ari manövrierte vom Fenster aus geschickt die Wand empor und winkte von oben herab. „Ich hoffe, es stört niemanden, wenn ich von hier aus zuschaue. Ich fühle mich in der Höhe wohler“, sagte sie lächelnd.

Madeline, der Trockenrasen-Marienkäfer, und Ivo, der Vierzehnpunkt-Marienkäfer, flogen gemeinsam herein und erzählten fröhlich von ihrer Blattlausjagd. „Die Gräser sind mal wieder voller Leben“, berichtete Madeline. Auch Susanne, der Schachbrett-Falter, flatterte leichtfüßig zu ihren Freunden und schwärmte von den wunderschönen Wiesen und den spannenden Lichtern in der Dämmerung.

Zum Schluss trat Franz mit einer besonderen Freundin nach vorne. „Darf ich euch bekannt machen?“, sagte er lächelnd. „Das ist Nora, eine Gottesanbeterin, die ich an der Insekten-Uni getroffen habe.“ Nora lächelte schüchtern. „Hallo zusammen, freut mich sehr, euch kennenzulernen.“

Die Gäste begrüßten einander herzlich, und bald saßen sie alle gemeinsam um den eckigen Tisch versammelt.

„Also gut“, begann Franz. „Ich habe euch alle eingeladen, um dieses besondere Kartenspiel zu spielen. Es heißt think beyond und soll uns helfen, uns besser kennenzulernen und über spannende Themen zu reflektieren. Ich werde euch zeigen, wie es funktioniert. Es ist wirklich ganz einfach.“

Er nahm die erste Karte und las sie laut vor:

KARTE 1: Womit tust du deiner Mitwelt (Menschen, Natur und Tiere) im Alltag kleine Gefallen?

Franz dachte kurz nach. „Also, seit ich vom Eichelbohrer zum Menschen geworden bin, versuche ich, meine neuen Fähigkeiten sinnvoll einzusetzen. Ich pflanze Eichen, damit meine alten Kumpels weiterhin ein Zuhause haben. Manche Menschen halten uns Eichelbohrer ja für Schädlinge, weil wir Eicheln anbohren. Aber mal ehrlich, jeder hat doch seine kleinen Marotten, oder? Schließlich müssen wir auch irgendwo unsere Eier ablegen! Außerdem versuche ich, Müll zu vermeiden und Ressourcen zu schonen. Es sind kleine Schritte, aber ich glaube, jeder Beitrag zählt.“

Die anderen nickten zustimmend. „Sehr schön“, sagte Grete. „Es ist inspirierend zu hören, wie du deine Erfahrungen nutzt, um Gutes zu tun.“

„Wer möchte als Nächster?“, fragte Franz.

Rudi hob die Hand. „Ich würde gerne“, sagte er und zog eine Karte. Er las vor:

KARTE 2: Hattest du schon einmal einen direkten Kontakt zu jemandem aus der Politik? Hast du dabei ein bestimmtes Ziel verfolgt?

Rudi grinste verschmitzt. „Also, ich hatte tatsächlich mal eine Begegnung mit dem Forstmeister unseres Waldes. Ich wollte ihm klarmachen, wie wichtig die Haselnusssträucher für uns sind. Ohne sie hätten wir Haselnussbohrer ja kein Zuhause mehr! Also krabbelte ich mutig zu ihm hin und begann, ihm alles zu erklären. Aber ihr könnt euch vorstellen, wie er schaute, als ein kleiner Käfer vor ihm stand und wild mit den Fühlern gestikulierte! Er verstand natürlich kein Wort. Wahrscheinlich dachte er, ich wäre ein besonders aufdringliches Insekt. Zum Glück ist Franz etwas Besonderes und kann zwischen unseren Welten vermitteln. Vielleicht hat der Forstmeister meine Leidenschaft gespürt, denn kurze Zeit später wurden tatsächlich mehr Haselnusssträucher gepflanzt. Manchmal genügt es wohl, einfach präsent zu sein!“

„Das ist beeindruckend“, sagte Konny. „Es ist wichtig, dass unsere Stimmen gehört werden. Als Kellerassel habe ich oft das Gefühl, übersehen zu werden.“

„Das ist schade“, stimmte Helga zu. „Denn wir tragen schließlich alle auf unsere Weise zum Gleichgewicht der Natur bei.“

Ermutigt zog Konny die nächste Karte und las:

KARTE 3: Welchen Tipp würdest du deinem jüngeren Ich geben und zu welchem Zeitpunkt?

Die kleine Kellerassel lehnte sich zurück und überlegte. „Also, meinem jüngeren Ich würde ich sagen: ‘Trau dich mal ans Licht, du alte Kellerleiche!’ Ich halte mich immer in dunklen, feuchten Ecken versteckt und dachte, Tageslicht wäre nur was für Mutige. Wir sind ja quasi die Vampire der Insektenwelt, nur ohne schicke Umhänge. Aber wisst ihr was? Draußen gibt es so viel mehr als nur schimmelige Wände und modrige Holzbalken! Und stellt euch vor, wir Kellerasseln sind die geheimen Helden des Nährstoffkreislaufs – die unsichtbaren Recycling-Profis! Also würde ich meinem jüngeren Ich raten: ‘Schmeiß die Angst über Bord, schnapp dir deine vielen Beinchen und erkunde die Welt – es gibt mehr als nur feuchte Keller!’"

„Das ist ein guter Rat“, sagte Alexandra. „Man sollte sich nicht von Ängsten zurückhalten lassen. Ich selbst habe lange gezögert, neue Lebensräume zu erkunden, obwohl wir Purpur-Fruchtwanzen ja sehr anpassungsfähig sind.“

Helga zog die nächste Karte. „Ich bin dran“, sagte sie fröhlich. Sie las:

KARTE 4: Vor welcher Veränderung haben die meisten Wesen Angst, die du allerdings toll fändest?

Die Hummel strahlte über ihr ganzes Gesicht. „Also, viele kriegen schon beim Gedanken an den Winter kalte Füße – aber ich? Ich sage: ‘Bring it on!’ Veränderungen sind doch das Salz im Nektar! Früher war ich ständig mit meiner Familie auf Achse, immer den Blumen mit dem süßen Nektar hinterher. Wir Hummeln sind quasi die Backpacker der Insektenwelt. Einmal sind wir sogar den Berg hochgezogen, weil die Blumen aus unserer alten Heimat die Höhenluft bevorzugten. Mein dicker Pelz zeigt schon, dass ich es nicht so warm mag – ich schwitze doch nicht gern unter all dem Flaum! Aber ich habe gelernt, dass Jammern nicht hilft. Ob ich es ’toll’ finde, ständig umzuziehen? Ich sag mal so: Ich stelle mich jeder Herausforderung!“

„Schön gesagt“, bemerkte Susanne. „Als Schmetterling kenne ich den Wandel nur zu gut. Unsere Metamorphose ist ein Zeichen dafür, wie aus Veränderungen Neues entstehen kann.“

„Jetzt sind alle dran!“ sagte Franz.

KARTE 5: Teilt der Reihe nach etwas, das nur wenige Wesen über euch wissen.

Alexandra begann. „OK, die meisten wissen nicht, dass ich, obwohl ich eine Purpur-Fruchtwanze bin, nicht nur von Pflanzensäften lebe. In meiner Jugend habe ich oft die Eier anderer Insekten gefressen. Es ist ein Verhalten, das nicht viele erwarten würden. Aber es hat mir geholfen, in schwierigen Zeiten zu überleben.“

Die anderen sahen Alexandra überrascht und leicht erschrocken an. „Das hätte ich nicht gedacht“, sagte Ivo. „Ich dachte, du ernährst dich ausschließlich von Pflanzen.“

Ari war als Nächste dran. „Ich verrate euch etwas: Ich habe eine Vorliebe für Kunst. In den stillen Nächten spinne ich Netze mit Mustern, die ich in der Natur beobachte. Die vier kleinen schwarzen Dreiecke auf meinem Rücken haben mich immer inspiriert, und ich versuche, ihre Form in meinen Netzen nachzubilden.“

„Das ist faszinierend“, sagte Madeline. „Ich hätte nie gedacht, dass Spinnen künstlerisch tätig sind.“ Sie fuhr direkt fort: „Etwas, das kaum jemand weiß: Ich habe eine Leidenschaft für seltene Pflanzen. Als Trockenrasen-Marienkäfer lebe ich in Gebieten mit besonderen Pflanzen wie Besenginster. Ich sammle die Samen dieser Pflanzen und helfe bei ihrer Verbreitung.“

Ivo lächelte. „Also, obwohl ich ein Vierzehnpunkt-Marienkäfer bin, habe ich eine heimliche Leidenschaft für Statistik! Ja, richtig gehört, Zahlen und so! Während andere Marienkäfer einfach drauflos futtern, führe ich akribisch Buch über die Häufigkeit verschiedener Blattlausarten. Ich erstelle sogar Diagramme und Tabellen! Manchmal nennen sie mich den ‘Mathe-Käfer’. Aber hey, es hilft mir, Muster zu erkennen und meine Jagd effizienter zu gestalten. Wer hätte gedacht, dass Zahlen so nützlich sein können, um an ein gutes Blattlaus-Buffet zu kommen?“

Die Gruppe lachte. „Das klingt nach dir“, sagte Franz. „Immer analytisch.“

Susanne flatterte etwas in die Höhe. „Etwas, das nur wenige wissen: Ich bin nachts aktiv. Obwohl wir Schachbrett-Falter tagsüber fliegen, habe ich eine Vorliebe dafür entwickelt, in der Dämmerung zu fliegen und ihre Stille zu genießen. Es ist eine besondere Atmosphäre, die man tagsüber nicht erlebt.“

Nora war als Letzte dran. „Nun, ich muss gestehen, dass ich trotz meines Aussehens Veganerin bin. Viele denken, dass Gottesanbeterinnen ausschließlich andere Insekten fressen, aber ich habe eine Vorliebe für süße Pflanzensäfte entwickelt. Es ist unkonventionell, aber es macht mich glücklich.“

Die Gruppe verbrachte den Abend mit tiefgründigen Gesprächen und Lachen. Sie entdeckten neue Seiten aneinander und erkannten, wie vielfältig ihre Erfahrungen und Perspektiven waren.

„Es ist erstaunlich, wie viel wir voneinander lernen können“, sagte Rudi nachdenklich. „Wir alle haben einzigartige Geschichten und Fähigkeiten.“

„Genau“, stimmte Grete zu. „Und gemeinsam können wir noch mehr erreichen. Wenn wir unsere Erfahrungen teilen, können wir ein besseres Verständnis für die Welt um uns herum entwickeln.“

Als sich der gemeinsame Abend dem Ende zuneigte, streckte sich Madeline und sagte mit einem Lächeln: „Also Freunde, bevor ich vor Müdigkeit noch meine Punkte verliere, sollten wir langsam Schluss machen.“

„Da hast du recht“, stimmte Ivo zu. „Meine Flecken brauchen auch ihren Schönheitsschlaf.“

Franz grinste. „Wie wäre es, wenn wir das bald wiederholen? Es gibt hier noch einige Karten, mit denen wir noch mehr über uns erfahren können!“

„Super Idee!“, rief Helga begeistert. „Ich könnte ein paar frische Blüten mitbringen, die gerade in meinem Garten blühen.“

„Und ich zeige euch meine neuesten Netzkreationen!“, fügte Ari hinzu. „Vielleicht könnt ihr mir Feedback geben.“

„Abgemacht!“, sagten alle gleichzeitig.

Mit vielen fröhlichen Verabschiedungen und dem Versprechen, sich bald wiederzusehen, machten sich die Freunde auf den Heimweg. Franz lehnte sich zufrieden zurück und dachte an die wunderbaren Momente des Abends. „Was für eine tolle Truppe“, murmelte er lächelnd. „Ich kann es kaum erwarten, was beim nächsten Mal auf uns zukommt.“

Möchtest du wissen, wie es mit Franz und seinen Freunden weitergeht? Und würdest du gerne think beyond selbst mit deinen Freunden spielen? Auf kleine-wesen.org findest du weitere Geschichten.

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