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  1. Das wöchentliche Arthropoden-Bulletin/

Nachts im Bauernhof

·3 min
Patrick

Nachts, wenn die Menschen schlafen und ich nur das leise Flüstern des Windes und das Rascheln der Blätter im Wald höre, wage ich mich aus meinem Versteck am Waldrand heraus und auf den kleinen Bauernhof der Menschen zu. Meine Schritte sind leise, mein Herz klopft vor Anspannung, und meine Antennen zittern, weil ich so aufgeregt bin. Nicht selten schielt mein Blick in alle Richtungen, ein Tick, der mich in der Dunkelheit oft tollpatschig erscheinen lässt. Ich stolpere über Kieselsteine und verirre mich im hohen Gras, aber die Neugier treibt mich voran, tiefer in das Reich der Menschen.

Ich heiße Hugo und ich bin eine Dunkle Waldschabe. Während meiner Abenteuer wartet meine Familie zu Hause auf mich, versteckt unter dem Moos und dem Laub, das unseren kleinen Unterschlupf am Waldrand bedeckt. „Sei vorsichtig“, flüstern sie mir jedes Mal zu, und ich nicke, voller Versprechen, sicher zurückzukehren.

Ich schleiche vorsichtig an Stall und Scheune vorbei und nähere mich mit Bedacht dem Haus, in dem die Menschen leben. Der Übergang vom kühlen Abend in die warme Innenwelt ist jedes Mal aufs Neue aufregend. Ich finde den kleinen Spalt neben der Haustür — mein geheimer Eingang. Sobald ich im Inneren bin, umfängt mich die Wärme wie eine Umarmung. Hier ist alles so anders: die Gerüche, die Geräusche, sogar die Luft scheint eine andere Geschichte zu erzählen. Vorsichtig, um nicht entdeckt zu werden, bewege ich mich entlang der Sockelleisten. Jedes Mal, wenn ich hier bin, werde ich überwältigt von der Größe dieses menschlichen Baus und dem, was er für mich als kleine Schabe bedeutet: ein grenzenloses Jagdgebiet.

Diese seltsame Welt ist nach ihren Regeln von Sauberkeit und Hygiene geformt. Für die Menschen bedeutet das blitzende Oberflächen und Ordnung. Aber ich und meine Mitbewohner, die Lebewesen, die in den Ritzen und Ecken leben, haben einen anderen Blick darauf. Wir suchen die Überreste ihres Tages, die Krümel unter dem Tisch, die Tropfen süßen Saftes auf dem Boden — alles Schätze und Überlebensmittel in unserer Welt. Jedes Mal, wenn ich über den sauberen, kalten Boden der Küche husche, riskiere ich alles. Ein falscher Schritt, ein Zucken des Lichts, und ich könnte entdeckt werden.

In der Küche, unter dem altmodischen Kühlschrank, begegne ich Otto dem Ohrwurm, einem alten Freund und Mit-Abenteurer. Unsere Wege haben sich schon oft gekreuzt, meist bei unseren nächtlichen Streifzügen. Otto, mit seinem unerschütterlichen Sinn für Humor und einer tiefen Vorliebe für dunkle Winkel, teilt seine neuesten Entdeckungen mit mir. Er hat einen verborgenen Zugang zur Speisekammer entdeckt, ein wahres Eldorado, wie er mir erzählt. Ich nehme mir vor, seinen Tipp beim nächsten Mal zu testen. Unsere Unterhaltung ist kurz, da die Gefahr, entdeckt zu werden, nie weit ist.

Die Menschen vergessen oft, dass sie ihr Zuhause mit uns teilen. Sie sehen uns als Eindringlinge, als Störer ihrer penibel geschaffenen Ordnung. Aber wir sind Teil eines größeren Ökosystems, das auch innerhalb ihrer vier Wände existiert. Meine nächtlichen Expeditionen sind nicht nur Abenteuer, sie sind auch eine Mission. Ich suche nach Nahrung für meine Familie, nach Materialien, um unser Zuhause zu verbessern, nach Geschichten, die ich ihnen bei meiner Rückkehr erzählen kann.

Heute fand ich die Krümel eines Apfelkuchens sowie kleine Reste eines Honigbrotes. Solche Erfolge geben mir die Kraft, weiterzumachen. Allen Risiken zum Trotz. Ich kehre erst beim Morgengrauen zurück, mein Herz voller Geschichten, meine Taschen voller gestohlener Leckereien. Ich bin Hugo, die Dunkle Waldschabe, ein Entdecker und ein Familienmitglied. Trotz der Gefahren, die mit jedem Abenteuer einhergehen, weiß ich, dass ich in der nächsten Nacht wieder losziehen werde. Die Welt der Menschen ist zu faszinierend, zu reich an unentdeckten Wundern, und meine Neugier ist einfach zu groß.