Den großen Ruhm knapp verpasst – aber ich freue mich trotzdem!
Liebe Jury, das war knapp. Ich weiß, dass ihr euch jedes Jahr viel Mühe gebt, einen würdigen Kandidaten zum „Insekt des Jahres“ zu küren, und ich war mit euren Entscheidungen immer einverstanden. Der bullige Stierkäfer vom letzten Jahr – grandiose Wahl. Das Landkärtchen von 2023 ist so etwas wie die Schwester des Schachbretts; ein ungewöhnlicher, stolzer Falter, alles bestens. Und 2022: Die Schwarzhalsige Kamelhalsfliege – gebt es zu, hier hat euch das Exotische und der ungewöhnliche Körperbau fasziniert; liege ich richtig? Und wenn es so ist, dann liegt der Verdacht nahe, dass es beim Gewinner für 2025 genauso war: Die Holzwespen-Schlupfwespe hat so viele faszinierende Details, dass es sich lohnt, genauer hinzusehen. Sie ist, verglichen zu anderen Schlupfwespen groß; bis zu 35 Millimeter kann ihre Körperlänge wachsen. Das lässt sie aber weiterhin dünn und grazil bleiben. Der Körper des Weibchens ist schwarz, mit vielen weißen Details. Männchen sind ebenfalls bunt, aber gehen mehr ins Gelbliche. Die Beinchen sind rot und heben sich damit klar vom restlichen Körper ab. Fadenförmige Antennen und markante Komplexaugen runden das Bild ab.
Jetzt wo ich das schreibe, kann ich nicht umhin, das Insekt des Jahres mit mir zu vergleichen. Der Grund: Wir sind quasi verwandt. Wir stammen beide aus der Familie der Schlupfwespen. Ich bin eine Schwarze Schlupfwespe und bin als solche definitiv kleiner, manchmal sogar nur 10 Millimeter lang. Auch optisch bin ich vielleicht nicht mit derart interessanten Details gesegnet wie meine siegreiche Verwandte. Aber ich freue mich trotzdem, dass nun so viel Aufmerksamkeit auf uns Schlupfwespen liegt. Denn wir haben eh schon ein gewisses Marketingproblem.
Wir Schlupfwespen sehen wirklich anders aus als unsere schwarzgelben Verwandten, die man umgangssprachlich „Wespen“ nennt. Wir gehen Menschen auch nicht so sehr auf die Nerven, tragen aber ebenfalls eine wichtige Rolle in der natürlichen Schädlingsbekämpfung. Manche Arten von Schlupfwespen sind so nützlich, dass sie von den Menschen extra gezüchtet werden, etwa zur Kontrolle von Lebensmittelmotten oder Holzschädlingen. Weil unser Leben anstrengend und auch grausam sein kann – Kannibalismus unter Larven ist etwas, das recht häufig vorkommt, außerdem leben wir parasitär – haben wir oft die Fantasie von Philosophen und Wissenschaftlern angeregt. Charles Darwin fand unser Beispiel so erschreckend, dass er in einem Brief an einen befreundeten Naturalisten gar die Existenz eines Schöpfers anzweifelte. Fakten, die nicht jeder kennt, aber die nun vielleicht wenigstens die Aufmerksamkeit einiger Interessierter erreichen.
In diesem Sinne, danke, liebe Jury, für eure Wahl in diesem Jahr! Die schmeichelt auch mir und den anderen Mitgliedern meiner Familie.
Mit summenden Grüßen
Sabine