Konny and the blues — Tagebuch eines 26-Beiners
Liebes Tagebuch,
heute ist wieder einer dieser Tage. Du weißt schon, die, an denen ich mich am liebsten in die dunkelste Ecke des Kellers verkriechen und einfach vergessen würde, dass ich 26 Beine habe, die alle etwas von mir wollen. Seit dem frühen Morgen hat es geregnet, und die Pfützen auf dem Boden werden immer größer. Wenn das so weitergeht, haben wir bald wieder Hochwasser, und ich kann nicht anders, als an die schreckliche Überschwemmung letztes Jahr zu denken. Ich zittere bei der Erinnerung, wie das Wasser in unsere Verstecke floss, und wir alle um unser Leben schwimmen mussten.
Um meine Laune ein wenig zu heben, habe ich meinen alten Plattenspieler rausgeholt und etwas Blues aufgelegt. Nichts beruhigt meine Nerven so sehr wie die sanften Klänge von Muddy Waters oder Howlin’ Wolf. Also sitze ich hier, eingekuschelt hinter einem Stück feuchten Holzes, und versuche, mich auf die Musik zu konzentrieren, während der Regen unaufhörlich gegen die Kellerfenster prasselt.
Aber es ist nicht nur das Wetter, das mir heute zusetzt. Es ist das Leben als Kellerassel an sich. Menschen denken oft, dass wir es leicht haben, nur weil wir klein sind und uns in dunklen Ecken verstecken können. Doch sie wissen nichts von den Herausforderungen, die ein 26-beiniges Leben mit sich bringt. Schon das Aufstehen am Morgen ist ein Kraftakt. Sieben Paare Schreitbeine wollen koordiniert werden, und das, bevor ich überhaupt an meine fünf Paare Blattbeine denke. Und dann sind da noch meine zwei Uropoden, diese seltsamen Anhängsel, die irgendwie immer im Weg sind. Manchmal frage ich mich, ob das Leben einfacher wäre, wenn ich weniger Beine hätte. Doch dann erinnere ich mich daran, dass jede meiner Extremitäten eine wichtige Funktion hat. Selbst ohne meine Uropoden ginge nichts weiter, denn sie helfen mir, mein Gleichgewicht zu halten und Gefahren zu spüren. Trotzdem ist es ein ständiges Hin und Her, und ich muss immer darauf achten, dass ich nicht stolpere.
Am frühen Nachmittag kam Mio, die Fliege, vorbei. Mio ist ein Tourist aus Barcelona, der ein paar Tage hier verbringt. Er flatterte herein, nass und erschöpft vom Regen, und erzählte mir von seinen Abenteuern in der Stadt. Es war schön, jemand anderen zu sehen und ein wenig zu plaudern, auch wenn Mio die meiste Zeit in der Luft verbrachte und sich ständig schütteln musste, um die Wassertropfen von seinen Flügeln zu bekommen.
„Das Wetter ist echt unberechenbar“, sagte Mio, während er sich auf einem alten, rostigen Rohr niederließ. „Früher hat es auch geregnet, aber nicht so plötzlich und stark. Das muss am Klimawandel liegen. Egal wo man in Europa ist, es wird immer gefährlicher für kleine Wesen wie uns.“
Mio hatte recht. Die Sommer werden heißer, die Winter kälter, und die Unwetter heftiger. Das letzte Hochwasser hatte uns alle überrascht. Ich erinnere mich noch genau an die Panik und das Chaos, als wir versuchten, unsere Verstecke zu verlassen und einen trockenen Platz zu suchen. Viele meiner Freunde und Verwandten haben es damals nicht geschafft. „Es ist einfach schrecklich“, sagte ich zu Mio. „Jedes Mal, wenn es regnet, habe ich Angst, dass es wieder passiert. Und das Schlimmste ist, dass ich nichts dagegen tun kann. Ich bin nur eine kleine Kellerassel. Was soll ich schon ausrichten?“
Mio flatterte näher und legte eine seiner winzigen Beine tröstend auf mein Panzer. „Du bist nicht allein, Konny. Wir alle kämpfen gegen die Veränderungen. Aber wir dürfen nicht aufgeben. Vielleicht gibt es nicht viel, was wir tun können, aber wir können uns gegenseitig unterstützen und aufeinander aufpassen.“ Der Blues im Hintergrund ging weiter, und ich fühlte, wie sich meine Anspannung langsam löste. Mio erzählte mir Geschichten von den belebten Straßen Barcelonas, den warmen Sonnenstrahlen und den vielen leckeren Essensresten, die er dort fand. Für einen Moment vergaß ich den Regen draußen und die Sorgen um das Hochwasser. Ich stellte mir vor, wie es wäre, in einer wärmeren, trockeneren Stadt zu leben, ohne Angst vor Überschwemmungen.
Doch bald musste Mio weiter. Er hatte noch viel vor, und ich wollte ihn nicht aufhalten. „Pass auf dich auf“, sagte ich, als er sich verabschiedete. „Und danke, dass du vorbeigeschaut hast.“ „Mach’s gut!“, rief Mio, bevor er in einem eleganten Bogen aus dem Keller flog. „Wir sehen uns bald wieder!“
Als er weg war, kehrte ich zu meinem kleinen Versteck zurück. Der Regen hatte nicht aufgehört, aber irgendwie fühlte ich mich besser. Vielleicht war es die Musik, vielleicht das Gespräch mit Mio, oder vielleicht nur die Erkenntnis, dass ich nicht allein war. Was auch immer es war, ich fühlte mich stärker und war entschlossen, den Tag zu überstehen. Ich hoffe auf ein besseres Wetter, liebes Tagebuch. Vielleicht hört der Regen auf, und ich kann wieder ein bisschen Sonne sehen. Bis dahin werde ich weiter Musik hören und versuchen, meine Beine im Griff zu behalten.